Mittwoch, 20. März 2013
Donnerstag, 17. Januar 2013
Dienstag, 13. November 2012
Samstag, 14. April 2012
Eröffnung des Tanzfestivals Steps 2012


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Freitag, 13. April 2012
Octopus von Philippe Découflé
Philippe Découflé gastierte im März in der Schweiz mit seinem neuesten Stück Octopus. Einflüsse aus dem Cirque de Soleil und Crazy Horse, für welche der Choreograph arbeitete, werden sichtbar. Lesen Sie meine Kritik in den Freiburger Nachrichten.
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Montag, 9. Januar 2012
Genfer Ballett eröffnet Theater in Freiburg
Nach 30 Jahren kann Freiburg (CH) sich wieder im Stadtzentrum an einem Theater erfreuen. Das Ballett Cendrillon des Grand Théatre de Génève wurde in der zweisprachigen Stadt zur Eröffnung ausgewählt.
Kritik der Freiburger Nachrichten vom 22.Dez. 2011
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Montag, 31. Januar 2011
Freitag, 21. Januar 2011
Rosas in der Schweiz
Das Stück, mit dem Anne Terese de Keersmaeker ihre gleichnamige Companie gründete, war vorgestern in der Schweiz zu sehen. Mittlerweile ist es ein Klassiker des zeitgenössischen Tanzes, das der Zuschauer wohl schon aus dem preisgekrönten Film Thierry de Meys, einer Arte-Produktion, kennt./2/ Dort betört allerdings auch der visionäre Umgang Keersmaekers mit der Architektur. Wenn nämlich die Tänzerinnen nackte Treppenhäuser und lichtumflutene Fabrikhallen mit ihrem Atem und der treibenden Musik rhythmisieren.
Da hat die Guckkastenbühne des Forum Meyrin in Genf natürlich Startschwierigkeiten. Zumal die Beleuchtung des Beginns so vague gehalten war, wie das Stand-by unserer Geräte vor dem Arbeitstag. Nach und nach wachen die vier Figuren (allesamt namens Rosa) aus dem Schlaf, heben sphinx-gleich das Haupt. Noch sind die Schuhe nicht geschnürt, die getürmten Stühle nicht gereiht. Wen wunderts, wenn auch der Zuschauer noch gähnt, wenn das Licht zwanzigminutenlang just das krönende Haupt nicht bleuchtet und die Figuren eh sich noch schlaftrunken wälzen.
Doch dann, endlich auf den Stühlen samt Schuh platziert, beginnt die unwiderstechliche Sogwirkung. Der drängende Rhythmus der minimalistischen Musik Thierry de Meys und Peter Vermeerschs, sodann der Gang der Dinge von Rosa. Die vier werfen sich einen Blick zu und es kann beginnen: Gesten, Posen und eingefahrene Reflexe brechen zu Tag und formen Rosas Bewusstseinstrom, oder gerade den des Unterbewussten.
Sie streicht die Haare zurück, wirft einen fragenden Blick zur Seite während das Bein zur Gegenseite ausfährt, um den erwartungsvoll sich reckenden Körper breit abzusichern. Der Kinn sinkt ihr enttäuscht in die Handfläche, der Ellebogen stützt sich auf dem übergeschlagenen Bein. Der rutscht vom Knie, die Elle baumelt, der Kopf hängt. Da capo. Die Musik zieht an, die Haare fliegen zurück, der Blick durchdringt die Kulisse, das Bein stemmt sich weitab in den Boden, vorwurfsvoll knallt der Kinn in die Hand, der Unterarm saust ab, sie stürzt den Kopf vornüber.
Die Bewegungsfolge bleibt sich gleich. Aber welch ein Unterschied! Dass Dynamik mit Geschwindigkeit und Widerstand im Bewegungsfluss zu tun hat, das wissen wir spätestens seit Rudolf von Laban./3/ Dass ihre veränderte Qualität die einhergehende Bedeutung moduliert, wissen wir implizit. Ob dieselbe Abfolge mit der Musik im Gleichtakt oder synkopiert, ob ein angezogen, der Rest dafür gedehnt ist, generiert Bedeutung. Abstrakt-formale Spielerein mit der Materie Pose und Bewegung steuern Semantik. Ganz absichtslos.
Ob Posen arretierte Bewegung ist, zu Standbilder gefroren, oder umgekehrt Bewegung nur die Verbindung solcher erkennbarer Posen ist, ist keine müssige Frage. Sie stellt sich hier, weil Anne Teresa Keersmaeker auf dieser Schwelle balanciert: Entsteht Bewegung, weil man sich in Posen lanciert, sie auflöst, oder entstehen Posen, weil man sich nicht nur gehenlässt (release), sondern punktuell zusammenreisst? Ist Bewegung der Überhang, das, was abfällt, wenn man sich zu schwungvoll in eine Haltung wirft? Eines ist sicher: Bewegung ist bei Rosas nicht geführt, nicht vorgeführt. Deshalb gibt es wenige Linien, die wie Luftgestalten den Raum durchfurchen. Deshalb sind sie, wenn sie es denn gibt, oft ausgefranst. Ein lockerer Fuss hängt am Bein, ein Unterarm stösst nach einer Drehung am Schwungende am Gesäss auf und prallt wieder ab. Wiederholt. Als Leitmotiv.
Aus wenig, über Variation, viel zu machen, ist ein minimalistischer Ansatz und ganz nach Keersmaekers Geschmack. Aus vier Figuren Bodenmuster wie Diagonalen und Reihungen zu bilden, ist eine solche Variation. Sie wie auf dem Schachbrett Feld um Feld nach vorne ziehen zu lassen, ist eine andere.
Dass die Figuren gegen Stückende auch mal im Raum sich streuen dürfen und erst bei Phrasenende sich jeweils formieren, dass sie auch zu einem Partner Kontakt aufnehmen dürfen, macht aus der vervielfältigten Rosa ein Gruppen-Individuum-Gefüge, aus dem Unisono den Beginn eines Wechselspiels.
Doch da müssen sie schon ihre Schuhe ausziehen, und das Licht geht in Stand-by.
/1/ Der Name der Schule: P.A.R.T.S.
/2/ Film von Thierry de Mey
/3/Eukinetik
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Montag, 6. Dezember 2010
Cie Drift mit Cadavre Exquis
Am 24.November 2010 feierte die Freiburg-Züricher Tanztruppe Premiere mit dem grotesken Stück Cadavre Exquis. Lesen Sie die Kritik:
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Samstag, 12. Juni 2010
Steps # 12
erschienen in Ensuite Nr. 90 S.17
Steps # 12. Das wohl attraktivste Tanzfestival der Schweiz findet alle zwei Jahre statt. Ensuite berichtet über fünf Veranstaltungen.
Die Schweizer können stolz sein auf ihr Migros-Kulturprozent, denn es ist wohl weltweit einzig, was der Unternehmer Gottlieb Duttweiler im Jahr 1957 ins Leben rief. Einmalig deshalb, weil die soziale und kulturelle Wohltätigkeit in den Unternehmenssatuten steht.
Automatisch, ohne argumentieren zu müssen, geht Jahr für Jahr ein Prozent des Umsatzes des Grossunternehmens an die Gemeinschaft, unser Gemeinwohl: unsere Kultur, Bildung, Freizeit und wirtschaftpolitische Fragen. Duttweiler war nicht Pionier heutiger Prestige-Events oder PR-Promotion. Duttweiler war schlicht gottesfürchtig. Die Verantwortung für den Schwächeren folgte daraus. Weil das Prozent umsatz- und nicht gewinnabhängig ist, kommen wir auch in Krisenzeiten zu einem ungeschmälert attraktiven Programmangebot. Das Schweizer Tanz-Festival Steps gibt es zweijährlich seit 1988. Im Geist des Migros-Kulturprozents versucht es zum Wohle der Gemeinschaft die gesamte Schweiz zu erreichen. Es bespielte diesjahr 29 Städte drei Wochen lang mit zwölf Companien. Mit Erfolg, denn gut die Hälfte der Veranstaltungen war ausverkauft
Ein ganz wertvoller Beitrag des Festivals ist jeweils das Symposium. Sein Sinn? Die erlesenen meist ausländischen Gäste des Festivals, die durch das gesamte Land gelotst werden, sollten sich nicht nur in den Flu
ghafenvorhallen treffen, meint Hedy Garber, Leiterin der Direktion Kultur und Soziales des Migros-Genossenschaftsbunds. Nein, sie sollten einbezogen werden in inhaltliche Debatten. Zwei Drittel der Companieleiter von Steps #12 war auch
zur Stelle, dieses Jahr in den Vidmarhallen von Bern. Migros wünscht, aktiv Akzente in der schweizer Kulturlandschaft zu setzen. Dass Migros fördert und organsiert, das wissen wir, aber mit solchen thematisch gefassten Festivals und Symposien "investiert sie in Inhalte".
"Geld!"
Und was ist der Inhalt dieses Jahr? Zum ersten Mal sollte der Tanzmacher (Heinz Spoerlis Begriff)
im Mittelpunkt eines Symposiums stehen, sein künstlerischer, aber auch existentieller Werdegang. Kreativität und Karriere in der Choreographie war der Titel. Neben den doch wenigen Schweizer Choreographen, und natürlich Tänzern, waren Veranstalter, Förderer und Medienschaffende geladen. Die Presse glänzte durch Abwesenheit. Das visuelle Medium art-tv wird aber auf seine Kosten gekommen sein, als er Hans van Manen ins Visier nahm. Der Star der Geladenen war augenscheinlich in Höchstform. Humorvoll schilderte er, wie er zum Beruf kam. Wie er als Maskenbildner in die Tanzproben lugte - und bald für jemand einspringen sollte... Was wünsche Hans van Manen für den Tanz von heute? Der Rat eines der erfolgreichsten Choreographen adressiert an denheutigen Tanz könnte für die Anwesenden und jungen Choreographen unschätzbar sein. Doch auf die Frage ertönte es schlicht: "Geld!"
Dieser beschwörende Ruf wurde nach Manen-Manier aber sogleich humorvoll umgewandelt: "Wenn man den Tanz gerahmt an die Wand hängen könnte, sässen lauter Millionäre hier..."
Gelehrsam und mit Goethe-Zitaten gespickt sprachen 'Kreativitätsforscher' und Kunsthochschulrektoren von Kreativität und seinen Durststrecken. Ob den Betroffenen das von der Kanzel gesagt hilft, oder nur verstimmt, bleibe offen. Die Definition von Kreativität als Neukombination von Information im Wechselspiel von Konvergenz und Divergenz mag zwar biologische, psychologische und psychiatrische Erfahrungen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Sie trifft auf Zellen nicht minder zu wie auf Choreographen, - und hilft in der Not keinen Schritt weiter. So wenig wie die müssigen Worte zur Sorge um den Nachruhm. Dies ist die einzige Sorge, die die ephemere Kunst nicht plagt.
Repertoirpflege als Chance
Eine Rednerin vom Fach, Karin Hermes, konstatierte - zwar in anderen Worten - wie der Tanz von heute rechts und links klaut. Für die Postmoderne der mobilsten aller Künste, des Tanzes, ist das durchaus legitim, doch besser wäre es, wenn man auch noch wüsste, was man klaut. So plädierte die Tanzrekonstrukteurin (sie holt notationgenau Tänze aus der Vergessenheit) und Choreographin für die Kenntnis aller Stilfrüchte, die auf dem Markt feilgeboten werden - und für deren Fairetrade. Damit aber die Früchte, noch bevor sie genetisch verändert (oder geklaut) werden, gekostet und ihren Namen in die Welt tragen können, bedürfen sie Märkte. Dafür brauchen, wenigstens die Früchte der Stilprägendsten einen wiederkehrenden Stand, an dem sie immer wieder als "Repertoir" hervorgeholt und aufgetischt werden können. - Wir Konsumenten könnten so auf den Geschmack kommen und sie unterscheiden lernen, bevor sie weiter zubereitet werden.
Intensive Tischgespräche
Wertvoll ist die integrierende Idee der Tischgespräche, eine Rarität in der Tanzszene. Da Förderer und Veranstalter so zahlreich zur Stelle waren wie die Künstler selbst, entstand ein sehr intensiver, zutiefst professioneller und erfahrungsgeladener Austausch. Träumte jemand z.B. gegenüber Sidi Larbi Cherkaoui sitzen zu dürfen? Dem Belgier Fragen zu seinen künstlerischen (Um)wegen zu stellen? Das Symposium bot an diversen moderierten Tischrunden mit den Companieleitern des Festivals dazu Gelegenheit.
Anerkennung, so ward an diesem Tag wissenschaftlich dargelegt, ist ein fester Pfeiler der Kreativität. Nämlich für ihre Motivation. Doch woher nehmen? Die belgische Tanzförderung ist weltweit vorbildlich. Der Schweizer Choreograph der freien Szene bettelt (abendfüllende!) projekt-weise um Geld, wird kaum angekündigt oder besprochen (die Schweizer Presse ist im Abbau und fusioniert) und Fachblätter gibt es keine mehr (die letzten drei gingen die vergangenen zehn Jahre ein). Was zunehmend den Ton angibt, ist die PR der Veranstalter und ihr Geschmack...
Wie gut tut da so ein Symposium, das wieder alle um den Tisch sammelt!

2. Beautiful Me , ein Stück mit afrikanischer Leuchtkraft
Steps stellt dieses Jahr seine Tanzstücke thematisch unter den Stern stilprägender Choreographenschicksale. Und da leuchtet Gregory Maqomas Stück bunt und hell. Es grenzt an ein feierliches Wunder, dem wir beiwohnen dürfen, wenn Maqoma sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf des Townships Soweto gezogen ein so positives und suggestives Werk schafft wie
Beautiful Me. Wie er in der Kindheit seinen Namen buchstabieren lernt (Gregory ist ein Zungenbrecher für die Xhosa, dem Volk, dem Nelson Mandela und Desmond Tutu angehören), hundertmal, lernt er auch die Liste derNamen, die in seinem Land (traurige) Geschichte schrieben. Doch er suchtnicht Rache noch Spuren seiner Ahnen, sondern verspielten Dialog. Die Spuren quellen ihm ohnehin aus den Gliedern: bevor er sich versieht und eine ausholende Spirale uns auffächert, ward schon die Erde angestampft und ihrem Geist die Kraft entliehen. Die Spirale selbst ist ein Geschenk des Inders Akram Khan, einem Schicksalsgenossen und gefeierten Choreographen in London. Auch er lernte die Kunst der Ahnen, den von den britischen Kolonialherren verpönten klassischen Tanz Kathak. Auch er fand zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung im Tanz von heute. Gregory sog den Kathak seines Freundes in sich auf wie begnadete Tänzer es tun: wie ein Schwamm. Wenn er mit einem weiten Rumpfkreisen die anvertraute Spirale in die Luft zeichnet, säumen feingliedrige Hindutanz-Finger die Shiva-fürchtige Pose. Doch dann folgt die Transformation: Greogorys Handflächen beginnen zu schwirren und zu flattern, ein weisender Zeigefinger verlässt das indische Symbolgebilde erzählender Geste, um auf die eigene Stirn zu pochen (in Kathak ist Eigenberührung tabu), und auf die Brust, sie als Büsser nach dem Gewissen abzuklopfen. Die Beine beben, doch sie folgen, mitgerissen, dem weisenden Finger, der ihnen den fernen Horizont deutet. In wenigen Minuten ist eine Geschichte erzählt, die Kontinente und ihre Identitäten verknüpft. Die Musik tut es ohnhin, denn das partiturlose Zusammenspiel der vier Musiker auf der Bühne verbindet die indische Sitar, Violine, Cello und Schlaginstrumente.
Wen interessiert, wo die zwei Minuten Material des Co-Choreographen Akram Khan stecken? Wen interessieren die virtuosen Verwandlungskünste, wenn Gregory von Vincent Mantsoe (einem weiteren Mit-Choreographen) anvertraute Tierahmungen vollbringt, stelzt wie ein Flamingo oder heranpirscht wie ein Tiger? Es ist der Dialog, der interessiert, den er webt und pflegt, auch mit dem Zuschauer. Wir helfen ihm am Ende, seinen Namen zu buchstabieren. Wiederholt. "Neunundneunzig", heisst's, und ein stürmischer Applaus bricht los.
3. Limón-Dance-Company

José Limóns Werke leben fort. Seine fünfzigjährige Companie ist vitaler denn je. Sie brachte viel Schwung und Atem in das Festival Steps #12. Auf dem Programm stand neben Limóns Klassiker A Moores Pavane, einem dichten choreographischen Meisterwerk von 25 Minuten, sein biblisches Stück There is a Time. Es ist ein programmatischer Tanz zu Salomos bekannter Textstelle "Alles hat seine Zeit".
Doch neben dem nachvollziehbaren ausdrucksstarkem Inhalt gilt für Schritt wie Schrift: die Form ist so sprechend wie des Predigers Wort. In der Form liegt Programm.
Schon Salomo wand die Weisheit in einen Reigen. Wie die grössten Kontraste im Leben dicht an dicht ihren Platz haben, so reihen sie sich bei Salomo Vers an Vers. Weinen und Lachen reichen sich die Hand. Wen wundert's, wenn die Kreisform José Limóns Stück There is a Time durchwebt? Sie ist am Anfang und Ende, vereint sinnbildlich die Kontraste und nimmt jeden einzelnen auf. Die getanzten Lebensphasen gliedern sich in ihr ein wie in den wiederkehrenden Zyklus der Natur der Mensch. Nach vielem hin und her, auf und ab mündet bei Salomo das Ende der Reihung, der Hass und Krieg, in den Frieden. Bei Limón wiegt sich da ein Kreis von Menschen, einander zugewandt, und formt das entsprechende Schlussbild.
Die Verwendung eines starken Sinnbilds allein ist noch nicht genial. Genial bei José ist, dass Kreise wie unmerkliche Kettenglieder die Choreographie durchziehn. Es kreist der Oberkörper oder ein imaginäres Gewicht rollt im Halbrund der Arme. Es kreisen die Köpfe, die durch die Fliehkraft einer Drehung ausschwingen. Wenn der Drehpunkt nicht in einem Körper liegt, sondern in der Mitte vieler, etwa beim Reigen, so schweissen die Tänzer sich gegen die Fliehkraft zusammen. Eine so ansteckende Erscheinung, die beim Kreistanz zum Einreihen einlädt: fest am Nachbarn verankert ist solch kraftvoller Schwung nur in Gemeinschaft zu erfahren und vor allem: wieder einzufangen. Ein in Wogen auspendelndes Phänomen, das in der Aus-Zeit von Kreistänzen ein seltener Blickfang ist.
Die Limón-Dance-Company pflegt aber nicht nur das Erbe. Sie belebt auch die Geschichte, die um José herum die Grossen prägte. Beispielsweise mit Anna Sokolovs Stück aus dem Jahr 1955, das in Bern zu sehen war. Es macht uns das politisch und gesellschaftskritische Engagement des modernen Tanzes wieder bewusst. Stilistisch eckt und schreit es, und kündet vom (deutschen) Ausdruckstanz. Und schliesslich vermittelt die Companie ihre jüngsten Sprossen, wie in Zürich zu sehen war: eine fliessende Choreographie des ehemaligen Solisten Clay Taglioferro.
4. HipHop wird Kunst

Was wünscht man sich mehr, als dass ein durch-und-durch-Künstler wie Bruno Beltrao sich einem Sprachkodex wie dem Break-Dance annimmt, noch bevor dieser gänzlich zur Attraktion verkommt? Bruno Beltrao lernte
den Kodex auf den Strassen der Vorstadt von Rio de Janeiro 1980. Mit 16 barst seine Kreativität und er gründete seine eigene Companie. Mittlerweile setzt er den Break-Dance dem choreographischen Know-how von heute aus.
Das wird am Programmheft deutlich, wo er grossen Wert auf den Einsatz von Raum legt. Dieser mag für den Break-Dance der Hinterhöfe eine immense Errungenschaft sein, der Zuschauer nimmt ihn gelassen für ein
Apriori. Doch Beltrao setzt damit Massstäbe: nie wieder werden wir durchgehen lassen, wenn Break-Dance-Figuren si
ch auf der Bühne in schäbigen Formationen (womöglich geometrischen..) gesellen. Wenn ehedem provokative Einzelkämpfer beim Batteln zu gereihten Show-dancer verkommen. Dank sei also dem Helden der Kunst wie Beltrao, der neue (Raum)wege sucht.
Atemberaubend ist ein Weg, den er seine neun Tänzer flitzen lässt. Man kennt ihn zwar, es ist die Manege, doch auf die Richtung kommts an: rückwärts rasen die atlethischen Körper ohne Geschwindigkeitsbeschränkung. Überholen gibts durchaus. Doch besonders beeindruckend sind die Ausweichmanöver des Gegenverkehrs. Nein, sie schauen nicht zurück. Auch nicht im Rückspiegel. Ihr blindes Abgestimmtsein ist die Quintessenz des Abends. Hatten die Individuen von Anbeginn an Kommunikationsprobleme, gegen Ende läufts reibungslos. Waren zu Beginn die Phrasen der Einzelnen monologisch selbst im Duett, gegen Ende tanzen neun gemeinsam. Hatten die Phrasen anfangs unabsehbare Schlusspunkte - ein Kopf, der statt einem i-Tüpfelchen nur abknickt, eine Schulter die verkrampft in die Höhe zuckt -, sind sie nach einer Stunde abgerundet. Lief zu Beginn der Austausch über missglückte Übersprungshandlungen, das zuckende Handgelenk, das ausbüchst und am Hinterkopf des Nebenmann zur Ruhe kommt, kreiste am Ende ein seliger Reigen. Auch wenn das vierbeinige Kreiseln ohne anzuecken an die wortlose Verständigung unserer langarmigen Vorfahren erinnert...
5. Trilogieabschluss: Babel(words)

Der gefeierte Choreograph Sidi Larbi Cherkaoui hat unlängst in Brüssel das Abschlusswerk seiner Trilogie präsentiert: Babel(words). Das Tanzfestival STEPS holte es taufrisch in die Schweiz. Die Trilogie handelt mit humanistischem Anspruch von den Höhen und Tiefen menschlicher sowie religiöser Beziehung. Babel(words) ist ein theatralisches Werk, dessen Eklektik wohl Programm ist.
Am Anfang war das Wort. So beginnt die Bibel. Am Anfang war die Geste, so beginnt dagegen Cherkaouis Babel. Die Geste ging dem Wort voran, heisst es da. Doch Geste und Wort, die das behaupten, sind synthetisch wie eine Roboterstimme und die abgenutze Zeichensprache einer Stewardess an Board. Wie aber mag die Geste ehedem unverbraucht gewesen sein?
Da ertönen Trommeln (der fünf grossteils orientalischen Musiker) und die bunte Arbeitertruppe des Turms zu Babel hinter der Startlinie setzt ihre erste Geste: sie markiert ihr Gelände. Eine gute Elle bis zum Nachbarn, an den man stösst. Der wiederum reagiert und markiert: sein Territorium, eine Elle. Und so fort. Kurzgefasstes Drohgebärde reiht sich wie der Trommelschlag, zunehmend aggressiv. Diagonal in den Lüften arretierte Fusssohlen grenzen ihren Raum ab und wandeln rhythmisiert sich zum Kampfsport ohne Berührung. Die Eigenräume überschneiden sich, eine Elle greift bis in die Kernzone des andern, die Glieder dringen ein wie Enklaven. Schon früh lernt der Mensch, wie man mit andern den selben Raum teilt, - respektfordernd. Gewaltig.
Dann kommt die Neugier und Entdeckung des anderen. Die Entdeckung auch der Manipulation. Die synthetisch wirkende Stewardess-Figur, eine Überspitzung unseres Schönheitsideals, ist nämlich steuerbar. Gelenke und jedwede Auswölbung sind eine Klaviatur, an der sich genüsslich zwei Asiaten bedienen. Ein Hebeln bewirkt den Knick im Ellebogen, ein Druck das Drehen vom Hals. Die passende neurowissenschaftliche Rechtfertigung liefert uns wortreich ein Intellektueller - doch leider hat er uns zuvor schon erfolgreich die praktischen und metaphysischen Vorzüge des gigantischen Würfel-Designs (Bühnenbild: Antony Gormley) verkauft. Wir werden misstrauisch... Jede Geste des Redners sitzt, der Tonfall ist einstudiert wie der abgebrühter Vertreter. Auf dessen Rythmus echot das Ensemble synchron seine Gebärde. Im Rhythmus findet jede Gebärde ein Gegenüber, an dem sie angeheftet wird. Wie eine Brosche, oder eben - ein Manöver. Denn jeder Druck manipuliert: er knickt Ellebogen und dreht einen Hals. "Das Frontalhirn feuert dieselben Neuronen, ob wir berührt werden oder andere berührt sehen. Was auf die Empathieleistung des Menschen hinweist" säuselt der Sprecher. Oder auf das Know-how seiner Manipulation. Einfühlung und Einwirkung gehen oft Hand in Hand wie Cherkaouis Paare es zeigen: Ineinander vertrackt und verzahnt hantieren sie aneinander herum, kein Mensch weiss mehr, wer steuert und wer reagiert. Eine Bewegungsmaschinerie mit vier Ellbogen und zwei Hälsen, Impulsgeber und -empfänger in einem. Faszinierend.
Als letztes, nach schwindelerregend gedrehten und getürmten Riesenwürfel auf der Bühne , erfasst eine sehr erdene Bewegung das Ensemble. Eva (Navala Chaudhari) verführte bereits Adam, schlangengleich wand sie sich an ihm hoch und runter, umschlang ihn mit den Beinen und zog ihn, den Erschöpften, schliesslich zu Boden. Ein fulminanter erdverhafteter Tanz breitet sich da aus. Mit nacktem Oberkörper ist die Eva-Figur mal Nymphe, mit glänzender Haut dann wieder Schlange. Sie bäumt und wölbt sich in alle erdenkliche Richtungen, sie schleudert die Extremitäten des einen Körperendes zum anderen, ein vielseitiges Vorankommen (wüsste man nur, wo das Ziel ist). Beugen und schwingen lässt es sich vorzüglich auch mit anderen, und so steckt sie im Nu die Meute um sie herum an, alles kreucht und fleucht, übersät den gesamten Boden. Der Atem verbindet sie und schweisst die Bewegung zu einem Guss. Er macht die Energie hörbar, wie sie in einer fliessenden Spirale im Überschwang die Körper immer wieder hochschraubt und sich mannshoch entlädt. Oder saugt der Atem samt hochfliegender Arme an diesen Wendepunkten dem Himmel Kraft ab, um sie im Kreis auf den Boden gewunden zu erden? Ein Trance der Wiederholung zwischen den Gegensätzen. Ekstatisch.
Doch wie folgt eine Bewegungssprache aus der anderen? Wie löst die faszinierende die gewaltige ab, warum folgt die ekstatische danach? Chronologie im Werk ist seit Cunningham & Cage als ein Zufallsspiel entlarvt. Doch im Gegensatz zu jenen schürt Sidi Larbi Cherkakoui mit viel Symbolik unsere Erwartung zu verstehen. Verknüpft sind die verschiedenen Bewegungssprachen lediglich durch Worte, die wohlweisslich lose perlen können, nicht nur seit dem Fall von Babel. Wir finden keine Stringenz in der Bewegungsdramaturgie, noch eine choreographische Handschrift (zumal zwei zusammenarbeiten: Damien Jalet ist langjähriger Co-Choreograph). Die stilistische Eklektik ist Merkmal der Choreographen-Garde, die wie Cherkaoui aus der Wiege der Companie C de la B stammt. Wir lassen die Eklektik, spektakulär an diesem Abend dargeboten, dem gefeierten Wunderkind Sidi Larbi Cherkaoui des Themas zuliebe gern durchgehen. Zur Sprachverwirrung paart sich Tanzvielfalt. Doch nach dieser Trilogie warten wir auf eine Läuterung. Auch Genies, nicht nur arabische, vertragen ein Fasten.
Das Festival Steps ist und bleibt einer der Höhepunkte im Tanzangebot der Schweiz, das durchaus auch im Ausland als solcher wahrgenommen wird. Wir freuen uns auf die nächste spannende Ausgabe.
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Montag, 24. Mai 2010
Sidi Larbi Cherkaoui

13.06.2010 um 10:00
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Montag, 10. Mai 2010
Gregory Maqoma: Beautiful Me
Ein Stück mit afrikanischer Leuchtkraft
"Das sind ziemlich verrückte Wesen, die stur trotz der Kaprizen der Geschichte, der Kriege, Revolutionen und Regime an die Feier der Schönheit glauben", bekennt der Kongolese Faustin Linyekula, Freund und Mit-Choreograph von Gregory Maqoma, dem wichtigsten Schöpfer heutigen Tanzes aus Südafrika.
Das zweijährige Schweizer Festival Steps stellt dieses Jahr seine Tanzstücke thematisch unter den Stern stilprägender Choreographenschicksale. Und da leuchtet Maqomas Stück bunt und hell. Es grenzt an ein feierliches Wunder, dem wir beiwohnen dürfen, wenn Gregory Maqoma sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf des Townships Soweto gezogen ein so positives und suggestives Werk schafft wie Beautiful Me. Wie er in der Kindheit seinen Namen buchstabieren lernt (Gregory ist ein Zungenbrecher für die Xhosa, dem Volk, dem Nelson Mandela und Desmond Tutu angehören), hundertmal, lernt er auch die Liste der Namen, die in seinem Land (traurige) Geschichte schrieben. Doch er sucht nicht Rache noch Spuren seiner Ahnen, sondern verspielten Dialog. Die Spuren quellen ihm ohnehin aus den Gliedern: bevor er sich versieht und eine ausholende Spirale uns auffächert, ward schon die Erde angestampft und ihrem Geist die Kraft entliehen. Die Spirale selbst ist ein Geschenk des Inders Akram Khan, einem Schicksalsgenossen. Auch er lernte die Kunst der Ahnen, den von den britischen Kolonialherren verpönten klassischen Tanz Kathak. Auch er fand zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung im Tanz von heute. Gregory sog den Kathak seines Freundes in sich auf wie begnadete Tänzer es tun: wie ein Schwamm. Wenn er mit einem weiten Rumpfkreisen die anvertraute Spirale in die Luft zeichnet, säumen feingliedrige Hindutanz-Finger die Shiva-fürchtige Pose. Doch dann folgt die Transformation: Greogorys Handflächen beginnen zu schwirren und zu flattern, ein weisender Zeigefinger verlässt das Symbolgebilde erzählender Hände, um auf die eigene Stirn zu pochen (in Kathak ist Eigenberührung tabu), und auf die Brust, sie als Büsser nach dem Gewissen abzuklopfen. Die Beine beben, doch sie folgen, mitgerissen, dem weisenden Finger, der ihnen den Horizont deutet. In wenigen Minuten ist eine Geschichte erzählt, die Kontinente und ihre Identitäten verknüpft. Die Musik tut es ohnhin, denn das partiturlose Zusammenspiel der vier Musiker auf der Bühne verbindet die indische Sitar, Violine, Cello und Schlaginstrumente.
Wen interessiert, wo die zwei Minuten Material des Star-Choreographen Akram Khan stecken? Wen interessieren die virtuosen Verwandlungskünste, wenn Gregory vom Vincent Mantsoe (der dritte Choreograph im Bunde) anvertraute Tierahmungen vollbringt, stelzt wie ein Flamingo oder heranpirscht wie ein Tiger? Es ist der Dialog, der interessiert, den er webt und pflegt, auch mit dem Zuschauer. Wir helfen ihm, seinen Namen zu buchstabieren. "Neunundneunzig", heisst's, und es entbricht ein stürmischer Applaus.
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Dienstag, 23. Februar 2010
Luzern leistet
Zwei anspruchsvolle Kammermusikstücke von Béla Bartók und Dimitri Schostakovich stehen auf dem Programm. Für das erste liess Oliver Dähler das junge Merel Quartet anreisen. Ihr frischer gewagter Strich ist ganz in Bartoks Sinne und dynamisierte augenscheinlich die Tanztruppe. Als ausgebildeten Musiker reizt es wohl Oliver Dähler, choreographisch mit der Musik in Dialog zu treten. Mal greift er einem prägnanten Akzent vor, wenn eine ‘sie’ an einen ‘ihn’ heranrennt und im Sprung ihr Bein wie ein Gewehr über die Schulter wuchtet. Der schräge Celloeinsatz folgt nach wie ein Aufschrei. Mal greift er den Charakter heraus, wenn die folkloristisch durchsetzte Musik zum kecken Paartanz in volkstümlicher Kreisformation verleitet. Dählers Bewegungsstil ist komplex, orientiert an den ganz Grossen mit dem Material der Gegenwart. Hans van Manens geschlossen enges Männerquartett im synchronen Gleichschritt auf “Die Grosse Fuge” zeigte ihm wohl, wie man dem strengen Ernst eines Stückes gewachsen ist. Balanchine wie man formverliebt Koketterie begegnet. New Yorks bodenbegierige Tänzergeneration der Jetztzeit wiederum alles vom Gleiten bis Kopfstand (O. Dähler weilte dort dank eines Stipendiums). Dieses Amalgam: eine Anlehnung an den Sezessionsstil (verspielter Jugendstil der K.u.K Monarchie Ungarns zur Zeit des jungen Bartóks) oder an den heutigen Patchwork-Geschmack? Die Virtuosität kommt so zumindest zum vielseitigen Einsatz, auch wenn man dem ungewöhnlichen Potential des jungen Choreographen nun ein stilles tiefes Wasser als Quelle zum Schöpfen wünscht. Und weiterhin so gute Tänzer, bis er seine unverwechselbare Sprache findet.
Mut zur Langsamkeit dagegen hatte der schon etablierte Ken Ossola in White Lies. Die langjährige Routine mit vielseitigen und artikulierten Tänzern fördert wohl die Musse, sich der versteckten Komplexität einfacher Bewegung zu widmen. Auseinanderstrebende Glieder erhalten einen Drall oder werden wie von einem schwarzen Loch, das sich unverblümt an einer Körperstelle auftut, plötzlich eingesogen. Die Freude an der Recherche von Bewegung ist dem Choreographen asiatischer Herkunft anzusehen. Dabei reizen ihn augenscheinlich die Gegensätze und Widersprüche. Während in trauter Zweisamkeit eine Frau sich dem Mann rücklings überlässt und in die Arme fällt, laufen ihr die Füsse fast davon. Wenn ein lyrischer Grundton mit expressiven Ausfällen durchsetzt wird, stammt es aus der guten Jiri-Kylian-Tradition. Ken Ossola hat bei ihm beste Schulung erhalten...
Kontraste regieren allenthalben: Wenn ein beeindruckendes Paar (Ihsan Rustem und Rachel Lawrence) nervös miteinander auszukommen sucht, Bein und Torso darauf aber keine Rücksicht nimmt, durchziehen zwei andere schlafwandlerisch die Bühne. Wenn das Stück mit abflauender Energie endet wie auf der Bühne das Paar, das zunehmend auch ohne Kommunikation sich versteht, sitzen zwei vorn' und - ziehen uns Grimassen. "Humor dabei darf nicht fehlen..." heisst's schon im Programmheft.
Das Werk nahm Intimität ins Visier, abwechslungs- und facettenreich. Mit scharfem Blick für die kleinen und grösseren Unstimmigkeiten bei sowas wie Vertraulichkeit. Doch wo bleibt die Tragweite der Musik? Sie sei Ausgangspunkt zu Ken Ossolas Arbeit gewesen, steht geschrieben. Eine bedeutsame Trauermusik über den Trümmern Dresdens entstanden, man sagt Schostakowichs eigener Abschied, ist das Streichquartett Nr. 8 op. 110. Hier in der orchestralen Fassung (op. 110a) schwingt auch noch Fülle mit. Doch was gehört ward, war nicht gesehen. Keine Dramatik, keine schicksalsschwangere Dynamik. Muss natürlich nicht sein. Wenn solche Musik aber zu "Notlügen", wie der Tanz heisst, inspiriert, da fragt man sich doch ...
weitere Vorstellungen:
07., So 14., So 21. (Geschlossene Vorstellung), Sa 27.03., Sa 17., Do 22.04., So 16.05.10 Letzte Vorstellung
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Montag, 8. Februar 2010
Ein Name zum Merken: Medhi Walerski
Das neueste Stück der NDT-Hoffnung: Words Failed Me
Der begnadete NDT 2-Tänzer und NDT-Choreograph Medhi Walerski kommt für eine halbe Stunde, « auf ein Wort », in Bern vorbei. Nun, « auf ein Wort » heisst der Ballettabend des Bern :Ballett, und eine halbe Stunde darin bedeutet das Herzstück. Doch was er uns zu sagen hat, ist so unprätentiös, wie nur möglich : « it’s just me ». Vierzehnfach fällt das Wort mal hier mal dort, hinter vierzehn graugekleideten Tänzern versteckt Medhi seine Person.
In grauen Arbeitskitteln sind sie versät auf der bis in den letzten verkabelten Winkel ausgeleuchteten Bühne. Sie « stimmen » sich ein, wie sonst das Orchester, und wagen vereinzelt einen schüchternen Blick, einen zaghaften Wink zu uns. Denn wir sind die Hauptperson, das wird klar. Wenn sie 14 Stühlchen lose aufreihen, sind diese uns zugewendet, die Gesichter auch. Nur ist das Kinn - vierzehnfach - auf der Sitzfläche präsentiert wie auf einem Schafott und mit Flügelarmen versehen, die es dabei gern davontragen sollten..
Mit diesen theatralischen Bildern könnte Medhi ein Kind des Tanztheaters sein, wenn nicht – der Rest anspruchsvoller Tanz wäre. Choreographisches Bijou ist die Kette der Duett-Folgen. Nacheinander tritt mal die eine mal die andere Frau einsam (aber immer anders) auf der Stelle und ein « it’s just me ! " stösst hinzu. Der Partner taucht aus einem Spalt, aus dem Dunkel, aus dem Nichts und ergänzt die charakteristischen Bewegungen der Frau auf so überraschende Art wie ein Wunder. Ob eine nicht abhebende Fälkin unter die ausgebreiteten Schwinge gegriffen bekommt, um gemeinsam das Weite zu suchen, ob die tiefen Kniebeugen einer anderen von einem rumpfrhotierenden Knienden kurzerhand über sein Kreuz gelegt wird, die humorvolle Antwort kommt stets wie die Erfüllung einer Vorhersehung.
Die Schrittfolgen sind so klar und ruhig ausgearbeitet und von keinem Tempo fremdbestimmt, dass der Zuschauer sie nachvollziehen und « auf der Zunge zergehen lassen » kann wie ein treffendes und poetisches Wort. Lehnt die vielseitige und artikulierte Hui-Chen Tsai rücklings an einem Mann und rutscht ihm in die Arme, so nimmt er ihr Gewicht, tritt zurück und schiebt sie wie einen Schubkarren durch den Raum. Ihrer Füsse wieder Herr wölbt sie sich alsdann wie ein Segel in alle Richtungen um den Mann als Mast. Oder wenn sie zwischen zwei Männern gespannt die Bühne in einer langen Diagonale buchstäblich durchzieht, erst ihre langgestreckten Beine hinter sich am Boden herschleifend, auf halben Weg sie dann aber nachvorne propulsierend : ihr langer Körper bildet je eine Diagonale auf der Diagonale.
Einfallsreich sind Formationen, Musikauswahl (von Chopin bis ins Mikrophon gehauchtes Wort) und die Bühnenbildung durch Blöcke : ein von Ideen sprudelnder Jungchoreograph. Man wünscht ihm mit der Zeit und Reife eine strengere « Engführung », - bis dahin vergibt ihm der Geist der Zeit, die (noch-)Postmoderne.
weitere Vorstellungen in den Vidmarhallen (Bern):
20.02.2010, 19.30 Uhr
28.02., 7.03., 2010, 18.00 Uhr,
09., 19.03.2010, 19.30
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Montag, 30. November 2009
Merce Cunningham
Merce : Meister der Komposition von Form, Raum und Dynamik
Noch bevor die Merce-Cunningham-Dance-Company (MCDC) die kommenden zwei Jahre mit dem tänzerischen Nachlass auf Welttournee geht, konnte Genf sie zu ihrer umfassenden Merce-Präsentation einladen. Vom 26. bis 28. November war im Bâtiment des Forces Motrices CRWDSPCR, Second Hand und Squaregame zu sehen.
Doch erst einmal zischt und knistert es aus allen Ecken. Noch scheint der Saal statisch geladen zu sein und beim ersten Kontakt funkt’s und rauscht‘s (Musik : John King, blues’ 99, live erzeugt vom John Cage-Nachfolger Takehisa Kosugi und Stephan Moore). Behutsam biegen sich darum die Tänzer in ihre symetriefähigen Posen. Ihr tiefer Ausfallschritt weit weg vom gestrecktbehaltenem Standbein ist nunmal nichts anderes als die Attituden des Nebenmanns im Stand. Nur eine Frage der Spiegelachse, vielleicht auch des 1993 erstmals angewandten Softwareprogramms Life-Form. Sei die Etüde rechter Winkel auch mit diagonalen Armen, den Winkelhalbierenden, durchsetzt, wir fühlen in diesem Adagio Mondrians Netz vor unseren Augen entstehen. Da fegt plötzlich eine kleine Person mit quirligen Drehungen über das Feld. Diesem Wirbelwind an Chaînées entreißt die Fliehkraft immer wieder in hohem Bogen ein gestrecktes Bein. Links marschiert tief in die Knie gesackt eine Truppe dicht an dicht auf uns zu. Vor der Rampe und dem Graben wendet sich ihr Schicksal, und die spitzen Knie im Tiefgang reißen die Truppe rechtzeitig um die Ecke. Knie als Wegweiser, Impulsgeber, Fokus? Diese Idee kommt nicht von Life-Forms. Humor ist so wenig die Gabe des Computers wie das Spiel mit der Dynamik. Es war Merce, der die Komponenten wählte, so kontrastiv wie nur möglich. Mag er die Reihenfolge oder Zusammensetzung dem Würfel oder Programm überlassen, sein Hang zum Zufall zeigt : ihm liegt an der Abwechslung.
Und diese kommt uns zugute. Das Publikum der ausverkauften Vorstellungen verfolgte gebannt die unentwegt wechselnden Form(ation)en. Ob paarweise, unbequem dicht und synchron, im Trio, Quartett oder Quintett, vervielfältigte Posen schärfen den Blick für die Form der Teile, und diese den Blick für die Geometrie des Ganzen. Genau da darf aus dem Gefüge einer seinen Kopf vogelhaft herumreissen und keck in den Zuschauerraum picken…
Second Hand entstand 1970, als John Cage Erik Saties Socrate bearbeiten wollte. Da er die Rechte dazu nicht erhielt, nutzte er nur die Struktur und Phrasierung des Originals und füllte sie mit zufallgenerierten Noten. Die so ausgewürfelte Tonfolge des Klavierstücks tröpfelt über lange (Durst-)strecken ohne ein Akkord vor sich hin. Einzig Merce setzt da bunte Farbtupfen und willkommene Dynamik entgegen. Nach seinen Worten sei dieses Werk das letzte, das auf eine Partitur horchte. Meinte er vielleicht seine ironischen Akzente, kleine brüske Wiederholungen des Tänzers, wenn die Musik nicht von der Stelle zu kommen scheint ? Oder wenn zuletzt die endlich volleren Klänge im Nachhall ihrer langen Pausen den Raum eröffnen für Merce’ Feuerwerk an Phrasen, welches die gesamte Gruppe vom linken Bühnenrand zum rechten peitscht, bevor der nächste heissersehnte Akkord den Richtungswechsel gibt, da capo… ?
Zwar sieht man Cunninghams abstrakte Vorliebe sich abzeichnen, wenn Rundungen und Wölbungen enge und weite Winkeln förmlich in Klammer setzen. Die zahlreichen balletthaften Phrasen dagegen wirken verstaubt. Ungeschickt, dem Publikum eine anachronistische Werksfolge zu präsentieren.
Man wünscht der Company und dem preisgekrönten Choreographieassistenten Robert Swinston zur perfekten Belebung des Merce-Erbe noch eines hinzu: auf daß uns der innovative Geist von Merce erhalten bleibt !
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Ventura Dance Company
erschienen auf tanznetz.de am 08.11.2009:
Tanz auf der Höhe der Technologie
Ventura Dance Company feiert seine Premiere mit “2047”
Das Tanzhaus Zürich bot am 6. November niveauvollen Tanz unter Einsatz von High-Tech.
Ein androides Wesen in anliegendem Weiß steht auf einer Leinwand. Wie auf einer Laufbahn, die sich von weit her aus dem Horizont unter ihre Füsse erstreckt. Sie ist eher eine Fahrbahn, denn ihre Linien, welche auf uns zuströmen, verbildlichen: die vertanzte Geschichte ist eine Reise. Eine Reise in der Zukunft. Die Science-Fiction-Episode aus dem preisgekrönten chinesischen Film “2046” mit der Reise aus einer Stadt aus dem All gab dem Tanzstück den Namen und dem Choreographen Pablo Ventura die Inspiration. Mit dieser Fahrt versucht ein Mensch, sich aus den Klauen seiner Vergangenheit zu entwinden, und die dabei behilflichen Hostessen sind – zeitlose Androiden. Der Flair beschleunigter Mobilität zwischen künftigen kosmopolitischen Städten hängt buchstäblich über dem Geschehen: Eine breite Videoprojektion schwebt über der Tanzszene, eine traumhafte Verfremdung einer Bahnreise aus der Metropole Singapur. Umrisse verschwimmen, Auflösung und Flächenstruktur wandeln sich wie unsere Farben im Traum. Fremd und berührend zugleich hebt das Video so angenehm ab von der scharfkonturierten retuschierten Ästhetik heutiger Werbespots.
Im eigenen Netz gefangen
Unter dem Videofilm schraubt und faltet sich nun das fremde androide Wesen. Die ruhigen senkrechten Linien, die bislang über Wand, Boden und das Wesen hinweghuschten, fangen an zu schwirren und reagieren wie ein Resonanzbecken. Zuckt der Android nur, erzittern sie in seinem Rhythmus, greift er weit in den Raum, dehnen sich die Parallelen wie breitgezupfte Saiten. Dann aber ergiesst sich eine Graphik wie eine Flutwelle über die abgebildete Kontur: In der Logik von Schwarmverhalten verdichten sich nervöse feine Querlinien, umschwirren sie die Kontur und rauschen von dannen. Daniel Bisig, Biologe und Programmierer hat die interaktive Software Swarm erstellt. Sie greift über Kameras die Parameter von Bewegungsdynamik und ihren Vektoren als auch den Konturen des Tänzerkörpers auf der Bühne heraus. Die Parameter evozieren ein Schwarmverhalten in der Graphik, welche im Stillstand nur die herablaufenden Linien bildet. Der Android steht so inmitten eines projezierten Netzes, das er sich selbst überwirft. Je agiler er wird, desto vertrackter spannt es sich um ihn. Darf ein technologisches Produkt wie dieser künstliche Mensch ungestraft nach Selbstbestimmung heischen?
Wie immer die Antwort ausfällt, der noch-echte Mensch der Zukunft, in Venturas Stück der Mann (der versierte Asiate Khai Vu), ist bereits durch Technologie infiziert. Seine Bewegungen gleichen denen der weiblichen Androiden. Ihre geschäftige Gelenkwinkelungen suggerieren Hyper-Funktionalität. Wie Scharniere öffnen und falten sich die Glieder an den überraschendsten Stellen der Gliedmassen und man ahnt, warum manch geneigter Kopf darob vergessen ward. Wohl schlicht, weil ihm keine Funktion zuteil ward. Doch mit dem Kopf und dem Blick geht ein Schlüssel verloren. Wie in Forsythes The Loss of a Small Detail ist der Fokus, der den Brennpunkt einer Bewegung extern festhält (im Klassischen oft in Verbindung mit dem Epaulement), den Androiden abhanden gekommen. Folglich absolvieren sie die unvollstellbarsten Verkettungen der Glieder– ohne einen Blick. Verloren und bezugslos läuft perfekte Mechanik ab wie ein Hohn auf die Verselbständigung purer Funktionalität.
Und was macht ein Mensch angesichts kühler Abläufe zu seinen Diensten? Wenn die Hostessen nach verquerten Sequenzen kopfüber einhalten, den Kopf begraben, und weitreichende Beine wie Antennen sondierend ausschwingen? Er schaut und greift ein. Doch seine Manoeuver erwirken keine emotionale Rückmeldung. Eben, keinen Paartanz.
Wer sich fragt, wie im zeitgenössischen Tanz mit seinen disparaten Blicken und geräuschhafter ‘Musik’ noch gestochenscharfe Gleichzeitigkeit erzielt werden kann, der wende sich an den Bewegungsprogrammierer, den Choreographen Pablo Ventura. Er gibt zu Vorstellungsbeginn mit einem Metronom den Takt an. Dieser pulsiert dann seinen Tänzern synchronisiert und digital, rotleuchtend auf der Brust. Er zieht also seine Figuren auf, und die Vorstellung läuft. “Dreitausend Takte lang”, meint ein Tänzer.
Eine Welturaufführung auf der Höhe heutiger Technologie (interaktive Soundtrack-Verarbeitung von Forsythes Improvisation-Technology-Mittäter Christian Ziegler, Software und Video von Daniel Bisig und Pablo Ventura vormals aus dem ArtLab der Uni Zürich) und kein Kritiker geht hin? In der Schweiz ist das möglich. Die dezentralisierte kulturpolitsche Unterstützung des Tanzes liegt im Argen, scheint’s. Ebenso die Tanzpresse. Man wünscht der Companie, daß ihre Ausserirdischen auf der Auslandstournee abheben können. High-Tech aber nie ihnen die Show stiehlt.
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