Dienstag, 23. Februar 2010

Luzern leistet


Luzern leistet sich derzeit einiges: ein gutes Ballett und den Bau einer High-Tec-Modulhalle. (Auch wenn, wie oft, das eine für das andere geopfert werden sollte). Seit dieser Spielzeit leitet Kathleen McNurney, jahrelange Solistin bei Heinz Spoerli und choreographische Assistentin bei Richard Wherlock, den “Tanz Luzerner Theater”. Für den ‘technischen Standard’ war sie schon bei jenen zuständig, man kennt das Resultat, nun ist sie es in Luzern. Die Companie blüht. Wie aber sieht es mit dem künstlerischen Standard aus? Dafür sind die Gastchoreographen zuständig. An diesem zweiten Ballettabend der Spielzeit 2009/10 sind zwei Schweizer an der Reihe. Oliver Dähler, der am Royal Ballet London ausgebildet und im “Königlichen Ballett von Flandern” tanzte, sowie Ken Ossola, der von Genf aus direkt zum NDT ging.
Zwei anspruchsvolle Kammermusikstücke von Béla Bartók und Dimitri Schostakovich stehen auf dem Programm. Für das erste liess Oliver Dähler das junge Merel Quartet anreisen. Ihr frischer gewagter Strich ist ganz in Bartoks Sinne und dynamisierte augenscheinlich die Tanztruppe. Als ausgebildeten Musiker reizt es wohl Oliver Dähler, choreographisch mit der Musik in Dialog zu treten. Mal greift er einem prägnanten Akzent vor, wenn eine ‘sie’ an einen ‘ihn’ heranrennt und im Sprung ihr Bein wie ein Gewehr über die Schulter wuchtet. Der schräge Celloeinsatz folgt nach wie ein Aufschrei. Mal greift er den Charakter heraus, wenn die folkloristisch durchsetzte Musik zum kecken Paartanz in volkstümlicher Kreisformation verleitet. Dählers Bewegungsstil ist komplex, orientiert an den ganz Grossen mit dem Material der Gegenwart. Hans van Manens geschlossen enges Männerquartett im synchronen Gleichschritt auf “Die Grosse Fuge” zeigte ihm wohl, wie man dem strengen Ernst eines Stückes gewachsen ist. Balanchine wie man formverliebt Koketterie begegnet. New Yorks bodenbegierige Tänzergeneration der Jetztzeit wiederum alles vom Gleiten bis Kopfstand (O. Dähler weilte dort dank eines Stipendiums). Dieses Amalgam: eine Anlehnung an den Sezessionsstil (verspielter Jugendstil der K.u.K Monarchie Ungarns zur Zeit des jungen Bartóks) oder an den heutigen Patchwork-Geschmack? Die Virtuosität kommt so zumindest zum vielseitigen Einsatz, auch wenn man dem ungewöhnlichen Potential des jungen Choreographen nun ein stilles tiefes Wasser als Quelle zum Schöpfen wünscht. Und weiterhin so gute Tänzer, bis er seine unverwechselbare Sprache findet.

Mut zur Langsamkeit dagegen hatte der schon etablierte Ken Ossola in White Lies. Die langjährige Routine mit vielseitigen und artikulierten Tänzern fördert wohl die Musse, sich der versteckten Komplexität einfacher Bewegung zu widmen. Auseinanderstrebende Glieder erhalten einen Drall oder werden wie von einem schwarzen Loch, das sich unverblümt an einer Körperstelle auftut, plötzlich eingesogen. Die Freude an der Recherche von Bewegung ist dem Choreographen asiatischer Herkunft anzusehen. Dabei reizen ihn augenscheinlich die Gegensätze und Widersprüche. Während in trauter Zweisamkeit eine Frau sich dem Mann rücklings überlässt und in die Arme fällt, laufen ihr die Füsse fast davon. Wenn ein lyrischer Grundton mit expressiven Ausfällen durchsetzt wird, stammt es aus der guten Jiri-Kylian-Tradition. Ken Ossola hat bei ihm beste Schulung erhalten...
Kontraste regieren allenthalben: Wenn ein beeindruckendes Paar (Ihsan Rustem und Rachel Lawrence) nervös miteinander auszukommen sucht, Bein und Torso darauf aber keine Rücksicht nimmt, durchziehen zwei andere schlafwandlerisch die Bühne. Wenn das Stück mit abflauender Energie endet wie auf der Bühne das Paar, das zunehmend auch ohne Kommunikation sich versteht, sitzen zwei vorn' und - ziehen uns Grimassen. "Humor dabei darf nicht fehlen..." heisst's schon im Programmheft.
Das Werk nahm Intimität ins Visier, abwechslungs- und facettenreich. Mit scharfem Blick für die kleinen und grösseren Unstimmigkeiten bei sowas wie Vertraulichkeit. Doch wo bleibt die Tragweite der Musik? Sie sei Ausgangspunkt zu Ken Ossolas Arbeit gewesen, steht geschrieben. Eine bedeutsame Trauermusik über den Trümmern Dresdens entstanden, man sagt Schostakowichs eigener Abschied, ist das Streichquartett Nr. 8 op. 110. Hier in der orchestralen Fassung (op. 110a) schwingt auch noch Fülle mit. Doch was gehört ward, war nicht gesehen. Keine Dramatik, keine schicksalsschwangere Dynamik. Muss natürlich nicht sein. Wenn solche Musik aber zu "Notlügen", wie der Tanz heisst, inspiriert, da fragt man sich doch ...

weitere Vorstellungen:

07., So 14., So 21. (Geschlossene Vorstellung), Sa 27.03., Sa 17., Do 22.04., So 16.05.10 Letzte Vorstellung

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