Freitag, 6. Februar 2009

Carolyn Carlson


Der Tanz macht sich rar in “Eau” 

Für Carolyn Carlson ist der Begriff “Wasser” fast unerschöpflich. Zum dritten Mal nimmt die namhafte Choreographen das Naturelement, zuletzt für die Premiere in Lille im April letzten Jahres. Sie handelt zum einen seine Erscheinungsformen ab: Quelle, tiefe stille Wasser, stürmische hohe See und verschmutztes Gewässer. Zum anderen untersucht sie seine Funktionen für den Menschen, existentielle, luxuriöse, rituelle und seine Disfunktionen wie (Öko)katastrophen. Schliesslich spürt sie der symbolischen Kraft nach, die der Mensch all diesen Erscheinungsformen beimisst. Im Stück “Eau” präsentiert Carolyn Carlson die Ergebnisse ihrer kreativen Forschung aus dem Centre Choréographique National bei Lille, das sie leitet. Natürlich nicht säuberlich geschieden. Denn dies unterliess schon der Philosophen-Dichter Gaston Bachelard, dessen Abhandlung das Wasser und die Träume für das Stück Pate stand. Die thematische Untergliederung des Stückes ist diesem Werk entnommen. So wie beim Vorbild Epistemologie und Wissenschaftstheorie, Ontologie und Poesie ineinanderfliessen, so mengt sich auch bei Carolyn Carlson jegliche Erkenntnis des kostbaren Naturelements. Wen wunderts, wenn sie zur Darstellung alles für brauchbar hält, was sich finden lässt: konkrete Alltagsgesten und Sprache wie das Tanztheater, technologische Mittel für Wasserprojektionen, poetische Bilder und – last but not least - vom Wasser inspirierte Bewegungsstudien.

Gleich zu Beginn durchmischt Carolyn Carlson sowohl Funktion und Symbolik des Wassers, als auch alle verfügbaren Stilelemente. Becher werden pantomimsch gehoben, es wird geschluckt und gesprochen. Dem Wasser als Ursprung (erstes Thema), einem Symbol, wird mit einem Symbol begegnet: eine Tänzerin, umhüllt von transparentem Plastik wie einer Fruchtblase, wird nackt aus einem Wasserbecken geborgen. Dann bekleidet. Und nun beginnt es zu ticken. Tick-Tack, ruckelnd kommt der Alltag in Gang. Zwölf graue Gestalten gesellen sich, wechseln Tische, Stühle, Posen und Frauen. Tick-Tack, die Gesten stocken, regelmässig wie der Sprung einer verkratzten Platte. Das Tick-Tack vereint die Gestalten im grauen Alltag wie  Figurinen einer aufziehbaren Spieluhr. 

In diese Alltagsmaschinerie ist das Einsickern von einem natürlichen Element erfrischend. Wie ein Rinnsal fliesst hie und da ein geschwungen-gedrehter Ablauf in Carlsons Tanztheater ein. Runde Rumpfbeugen münden aber wieder in geschnitten klare Gestik.

Das mitreissende Wasser kann sich erst im dritten Teil des Abends seinen Weg bahnen: in “L’eau violente”. In Form einer reinen Bewegungsstudie bot es einen Höhepunkt, wie dem schweizer Applaus im Théatre du Passage zu entnehmen war: die tosenden Wogen des Meeres wurden von den Männern des Ensembles verkörpert. Die hellschäumenden Wellen des düsteren Meeres der Projektion spiegelten sich in den weissen flatternden Hemden und schwarzen Hosen der Tänzer. Sie durchzogen in einem Schwung energisch die Diagonale, überschlugen sich vereinzelt in einer Bodenrolle, um sich vom andern in fliegende Höhe reissen zu lassen. Spitze Füsse stiessen durch die Lüfte, wie die Spritzer hochschnellender Wellen. Männerhebungen sind gewaltig, wenn nämlich einer seinen Partner mit Elan kopfüber an die Flanke zieht, welcher aus dem erhaltenen Schwung seine parallel gestreckten Beinen in die Höhe hisst. Kräftige Körperwellen durchziehen die Tänzer im Stand. Als der treibende tiefe Beat (vielleicht die E-Saite vom Kontrabass in Joby Talbots eigens komponiertem Orchesterwerk?) allmählich nachlässt, kehrt ein gleichmässigerer Wellengang ein. Eine weibliche Linie flechtet sich durch die Männerreihe, sie durchweben einander entsprechend der Wellen, die in unteren Schichten zurückströmen. Den Umschlagspunkt bilden sich duckende Rücken. Abwechselnd kommt eine Schar Männer, dann Frauen, wie angeschwemmt, wölbt sich rücklings über die Buckel und schwingt die Arme parallel einmal herum. Um dann abzutauchen, am Boden die Rücken zu stählern und die nächste Welle diesmal über sich ergehen zu lassen.

In den folgenden Teilen ebbt das Stück künstlerisch ab. Theatralische Bilder versuchen zwar noch die Tragik verschmutzter Gewässer zu evozieren, poetisch-metaphysische Zusammenhänge zwischen dem Salz unserer Tränen und den geschundenen Meeren zu beschwören. Doch die Metaphern für die Brüche unserer Konsumwelt sind abgedroschen, wenn z.B. in Endlosschlaufen Frauen von ihren hohen Absätzen knicken. Und wenn gar die Katharsis an der Ökokatastrophe nicht dem Zuschauer überlassen wird, sondern im Schlussteil, “reinigendes Wasser”, bildreich vorexerziert wird, hat sich jede Wirkung verwässert. Wann darf Tanz wieder Choreographien überschwemmen?

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