Dienstag, 25. November 2008

Pascal Rioult


High-Quality-Graham

Das Pascal Rioult Dance Theatre aus New York ist eine Rarität im deutschen Sprachraum. Die zwei Abstecher diesjahr in der Schweiz nach einem vor drei Jahren sind den französischsprechenden Welschen zu verdanken. Dabei kann man anders kaum zu High-Quality-Graham heutzutage kommen. Einen einzigen Franzosen zählte die Graham-Companie, heisst es im französischen Programmheft von Ravel Projects am Freiburger Theater Nuithonie. Kein Wunder, musste doch Martha Graham ihren technisch sich rasant entwickelnden Stil den Zöglingen von Kindesbeinen an, vor Ort, lehren. Um dann die Besten für ihr Ensemble auslesen zu können. Kein Hindernis für Pascal Rioult, ist er doch von berufswegen Hürdenspringer (der Nationalen Auswahl in Frankreich) und eben Mann. Ein Vorteil in der Branche. Nach kaum einem Jahr in der Merce Cunningham-Schule nahm er die nächste Hürde: die Companie der Grande Dame des modernen Tanzes, der er bis zu ihrem Tod, neun Jahre angehörte. 
Dennoch mischt sich viel Neoklassik in Pascal Rioults Choreographien. Mag sein, dass die tänzerische und schwungvolle Musik von Maurice Ravel ihn davontrug. Die besten Stücke sind entsprechend, wo er dem Morbiden in Ravels Musik auf der Spur ist. Im Stück Wien auf Ravels Valses schafft Pascal Rioult eine so dichte Atmosphäre der treibenden und dekadenten Lust der Jahrhundertwende, dass man den Atem anhalten möchte. Eine gedrängte Gruppe hastet im tief-hoch-hoch die vier Bühnenseiten entlang, trägt die gute Laune wie ein Schild vor sich her. Ab und an entgleitet einer zu Boden, rafft sich eiligst wieder hoch. Hat jemand was bemerkt? Der endlose Lauf zieht sich zu einem engen Kreis. Was andernorts sich in entspannt-geselligen Walzerrunden wiegt, ist hier zusammengeschnürt zu einem schwindelerregenden Kreisel. Schrill zur Rampenecke fokussiert. Hände flattern in der Magengegend, Knie erzittern immer wieder, die Luft im Ballraum scheint zu vibrieren. Dieser Kreisel nährt keineswegs herkömmlich unsere Schaulust am jahrhundertealten Faszinosum einer spitzen Form, die erst in Bewegung stabil wird. Rioults Kreisel ist am Kippen. Die eine Kreishälfte, an der anvisierten Rampe links, ist bodennah, die schräg-hintere dagegen oben, wie sie im Sprung die Tänzer nacheinander elyptisch für einen Moment hinausschleudert. Ein choreographisches Bijoux, eine Kür für Ensembleleistung, wenn sie denn eine Disziplin wäre. Die Paare, die sich schliesslich wie Planeten mit ihren Monden in wechselnder Konstellation von der elyptischen Bahn absondern, sind unpersönlich wie das Gestirn. Die Frauen werfen sich weichenden Männer von hinten an den Hals, ohne ihnen jemals in die Augen geblickt zu haben, und lassen sich mitschleifen. Wenn die grahamschen Kontraktionen im rasanten Fluss des drängenden Dreier mitgerissen werden, sind sie nur schmerzhafte Akzente der sich in leichte Freuden (weg)werfenden Generation. Die Kontraktionen auflösenden "Releases" sind geschleudert, und die Dynamik degeneriert zunehmend zur Hysterie. Von Erlösung keine Spur.
Auch das zweite Stück, das überzeugt, ist ein Ensemblewerk: Bolero. Vierzig Jahre nach Béjarts enstanden, meidet es jede Ähnlichkeit. Keine sinnlichen (taktile) Motive, noch pulsierende Hüften. Es baut auf die minimalistische Kompositionsform auf, ein endlos aneinandergereihtes Thema, getragen von einem unbeugsamen Metrum. Die Musik hat durchaus etwas Mechanisches. Und Rioult nutzt es in kühlen Parallelen (der Unterarme z.B.) und Geometrie (Gruppenformen). Keine Wallungen, nur selten lockern verstreut versäte Körperwellen die nüchternen Winkelreihungen auf. Wohltuend emotionslos und "asexuell", wie es im San Franzisco Chronicle heisst, kommt der schon-nicht-mehr-zum-Anhören-Bolero daher. Sind zu Beginn die Formen noch einfach, aufrecht, unspektakulär, werden sie zunehmend virtuos und das Gruppenzusammenspiel dynamisch. Suchen wir nach Graham-Elementen anfangs vergeblich, wartet gegen Ende die Companie mit ihnen auf. Kurz bevor der Vulkan ausbricht, Steigerungen schon nicht mehr möglich scheinen, rhotieren die Tänzer in ihre grands battements (durch einen kontraktierenden Impuls im Becken) heinein und stürzen sich in gedrehte (!) arabesques penchés, Kopf und Blick zu Boden. Techniken, die Martha Graham uns vermachte. Und so unpathetisch geboten das Publikum überzeugte.

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